Der Krieg in der Ukraine betrifft auch Mecklenburg-Vorpommern
Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine haben in Deutschland über eine Million ukrainische Staatsbürger eine sichere Bleibe gefunden, davon bis zum Jahresende ca. 22.000 in Mecklenburg-Vorpommern. Dieser starke Zuzug in sehr kurzer Zeit belastete die beteiligten Behörden erheblich, so dass sich staatliche Hilfen teils erheblich verzögerten. Wiederholt erreichten den Bürgerbeauftragten daher Hilferufe von Betroffenen:
- In einem Fall hatte eine Deutsche bereits Anfang März zwei ukrainischen Familien ein Haus als Unterkunft zur Verfügung gestellt. Bis Mitte April war aber trotz Antragstellung die Übernahme der Unterkunftskosten durch den Landkreis noch nicht geklärt. Hierdurch geriet die Bürgerin in finanzielle Schwierigkeiten, da sie den Gastank des Hauses neu befüllen und die Abwassergrube entleeren lassen musste. Vom Landkreis erhielt sie trotz mehrerer Anfragen keine Antwort. Erst als sich der Bürgerbeauftragte an die Sozialdezernentin des Landkreises wandte, wurden die Leistungen bewilligt und ausgezahlt.
Aber auch Forderungen der Ausländerbehörden konnten bei den Betroffenen für Schwierigkeiten sorgen:
- Für eine ukrainische Familie trug eine deutsche Unterstützerin dem Bürgerbeauftragten vor, dass die Familie Mitte März 2022 eingereist und in Mecklenburg-Vorpommern registriert worden sei. Eine Auflage, wonach die Flüchtlinge nur in Mecklenburg-Vorpommern wohnen durften, enthielten die hierbei ausgegebenen vorläufigen Bescheinigungen nicht. Schon vor Erhalt der Aufenthaltserlaubnisse sei die Familie nach Berlin umgezogen, da die in Mecklenburg-Vorpommern bezogene Unterkunft nicht mehr zur Verfügung gestanden habe. In Berlin hätten sie nun eine Wohnung, die Kinder gingen dort in die Schule bzw. in den Kindergarten. Im August sei ihnen von einer Ausländerbehörde in Mecklenburg-Vorpommern überraschend mitgeteilt worden, dass sie wieder zurückkommen müssten.
Der Bürgerbeauftragte wandte sich an den Landrat. Er wies darauf hin, dass die Petenten überhaupt nicht wussten, dass für sie eine Wohnsitzauflage bestehe. Es sei unsinnig, nun eine Rückkehr nach Mecklenburg-Vorpommern zu fordern, wo sie weder eine Wohnung noch Kita- oder Schulplätze hätten. Daraufhin wurde vom Landkreis mitgeteilt, dass die Wohnsitzauflage in den nun auszuhändigenden Aufenthaltserlaubnissen gestrichen werde.
Insgesamt war bis zum Jahresende festzustellen, dass aufgrund der Vielzahl der Zuzüge die – zuvor schon stark belasteten – Ausländerbehörden des Landes überfordert waren. Da die Bearbeitung der Angelegenheiten der ukrainischen Flüchtlinge Priorität hatte, wurden Angelegenheiten anderer Ausländer oft nur noch nachrangig bearbeitet – wenn überhaupt. So beklagten sich in einer Reihe von Fällen ausländische Petenten, dass ihre Anträge auf Ausstellung oder Verlängerung von Aufenthaltstiteln oder auch zum Familiennachzug monatelang nicht mehr weiterbearbeitet worden waren. Die Ausländerbehörden seien für sie nicht mehr erreichbar, da auf Schreiben und E-Mails keine Antworten erfolgten und sie auch telefonisch nicht zu sprechen waren. In den meisten dieser Fälle konnte der Bürgerbeauftragte zumindest dafür sorgen, dass die Ausländerbehörden mit den Petenten Kontakt aufnahmen und den Sachstand der Bearbeitung mitteilten.
Wenn Behörden unerreichbar sind
Zahlreiche Beschwerden erreichten den Bürgerbeauftragten zur eingeschränkten Erreichbarkeit und zu Öffnungszeiten von Behörden. Seit dem Beginn der Pandemie hatten viele Bürgerämter die allgemeinen Sprechzeiten reduziert und vergaben Termine nur nach vorheriger Vereinbarung per Telefon oder online. Diese Termine liegen dann oft in weiterer Zukunft. In der Phase, in der schon fast alle coronabedingten Einschränkungen schrittweise zurückgenommen worden waren, konnten die Bürger die nur zögerliche Öffnung der Ämter für den Publikumsverkehr nur schwer nachvollziehen. Sie beschwerten sich häufig, dass frei zugängliche Sprechzeiten weiterhin nicht angeboten wurden; andererseits waren Terminvereinbarungen für individuelle Vorsprachen jedoch nur schwer, teils gar nicht möglich. Besondere Schwierigkeiten waren hierbei neben den Ausländerbehörden (s. oben) auch in den Fahrerlaubnisbehörden (s. unter 4.) feststellbar.
In den vorgetragenen Fällen wandte sich der Bürgerbeauftragte an die betreffende Behörde und bat um Kontaktaufnahme zu den Petenten, um einen Termin zu vereinbaren. Dies geschah dann regelmäßig. So sehr es den Bürgerbeauftragten freut, behilflich sein zu können, bleibt jedoch ein Beigeschmack, wenn Bürger trotz einer Vielzahl von Versuchen zur Terminvereinbarung keinerlei Reaktion der Behörde erhalten, es dann aber ohne Probleme möglich ist, wenn der Bürgerbeauftragte sich einschaltet.
Eine Reihe von Beschwerden wurden von Bürgern eingereicht, die Schwierigkeiten hatten, kurzfristig einen Reisepass oder einen Personalausweis bei ihrer örtlichen Behörde zu beantragen. Eine Bürgerin beklagte, dass sie, nachdem ihr die Brieftasche mit sämtlichen Ausweisdokumenten und Bankkarten entwendet wurde, keinen zeitnahen Termin beim zuständigen Meldeamt für die Beantragung eines vorläufigen Personalausweises vereinbaren konnte. Für die Regelung ihrer Bankgeschäfte und die Beantragung einer neuen Bankkarte war sie aber dringend auf die Ausstellung des vorläufigen Personalausweises angewiesen.
Leider erfolgte seitens des Meldeamtes nicht der Hinweis an die Petentin, dass in begründeten Fällen eine Beantragung eines Personalausweises oder Reisepasses auch bei einer örtlich nicht zuständigen Meldebehörde möglich ist. Sowohl das Personalausweisgesetz als auch das Passgesetz enthalten hierfür eine besondere Regelung. Zwar ist ein Personalausweis oder Reisepass grundsätzlich im Bürgeramt des Wohnortes zu beantragen. Darüber hinaus besteht aber auch die Möglichkeit, gegen eine erhöhte Gebühr die Dokumente in jedem anderen Bürgeramt zu erhalten. Sollte es also in der Heimatgemeinde terminliche Engpässe oder lange Wartezeiten geben, kann man den Antrag in einer anderen Kommune stellen. Voraussetzung für die Antragstellung außerhalb des Wohnsitzortes ist allerdings, dass Bürger einen wichtigen Grund für die auswärtige Beantragung haben. Es empfiehlt sich, die Gründe vorab mit der auswärtigen Behörde abzuklären.
Mit Unterstützung des Bürgerbeauftragten konnte die Bürgerin den Ämtern diesen wichtigen Grund vermitteln und schließlich beim Meldeamt in der Nachbargemeinde die dringend benötigten Dokumente beantragen.
Zum Jahresende erreichte den Bürgerbeauftragten ein vergleichbarer Fall aus derselben Amtsverwaltung. Hier war dem Petenten, der in absehbarer Zeit für eine Reise einen neuen Reisepass benötigte, ein Termin für die Beantragung in sechs Monaten (!) angeboten worden. Der Bürgerbeauftragte wies auch diesen Petenten darauf hin, dass er den Reisepass auch bei einer anderen Amtsverwaltung beantragen könne. Damit war zwar der Einzelfall, nicht aber das generelle Problem gelöst. Der Bürgerbeauftragte wird hier weiterhin überprüfen, ob zugesagte Änderungen in dieser Amtsverwaltung zu einer Verbesserung führen.
Generell ist es dem Bürgerbeauftragten wichtig, die Zugänglichkeit von Behörden wie „vor Corona“ zu sichern. Bürger sollen in allen Behörden die Möglichkeit haben, zu allgemeinen Öffnungszeiten ohne Termin vorzusprechen – auch wenn es dann zu Wartezeiten kommen kann. Daneben können und sollten auch individuelle Terminabsprachen online oder telefonisch angeboten werden. Zugänge zu Online-Dienstleistungen bleiben ohnehin weit hinter den gesetzlichen Vorgaben zurück.
Statistische Erhebungen: Eine Herausforderung für die Bürger
Mittels statistischer Befragungen wie Zensus oder Mikrozensus erhebt der Staat wiederkehrend Daten, um hieraus verlässliche Grundlagen für Planungen zu ermitteln. Dazu werden jedes Jahr stichprobenartig Haushalte angeschrieben; die Adressaten sind zur Teilnahme verpflichtet. Die Befragungen erstrecken sich hierbei auf höchst unterschiedliche Bereiche: Neben allgemeinen Erhebungen, die jeden Bürger betreffen können, richten sich andere auch gezielt an bestimmte Gruppen oder Branchen. Aufgrund der teilweise sehr umfangreichen Fragebögen war dies schon immer Grund für Beschwerden und Nachfragen beim Bürgerbeauftragten.
Im Jahr 2022 wurden zusätzlich gleich zwei große Befragungen durchgeführt: eine stichprobenartige Volkszählung sowie die Gebäude- und Wohnungszählung, bei der bundesweit etwa 23 Millionen Eigentümer und Nutzungsberechtige von Gebäuden oder Wohnungen befragt wurden. Diese betrafen auch Hunderttausende von Bürgern in Mecklenburg-Vorpommern. Entsprechend erhöhte sich die Anzahl der Anfragen und Beschwerden von Betroffenen beim Bürgerbeauftragten. Vor allem wollten sie wissen, ob sie tatsächlich dazu verpflichtet waren, die Angaben zu machen.
Zum anderen wurden auch konkrete Problemfälle, insbesondere bei der Wohnungs- und Gebäudezählung, vorgetragen:
- So beklagten z. B. Bürger, dass sie Auskünfte über Grundstücke geben sollten, deren Eigentümer sie nicht (mehr) waren.
- Ein Bürger erhielt mehrere Erfassungsbögen mit unterschiedlichen Hausnummern für dasselbe Grundstück.
- An andere ergingen Mahnschreiben und Zwangsgeldandrohungen, obwohl sie die Daten bereits übermittelt hatten.
- Beschwerden gingen auch dazu ein, dass die Befragungen in der ersten Phase nur online angeboten wurden.
- Eine Mutter berichtete, dass ihr Sohn wegen einer psychischen Erkrankung die übersandten Fragen nicht beantworten konnte und ihm deswegen ein Zwangsgeld angedroht worden war.
Insgesamt war aber festzustellen, dass diese statistischen Erhebungen im Gegensatz zur kurz darauf erfolgten Erhebung der Daten für die Grundsteuer vergleichsweise reibungslos abliefen. Dies lag sicher neben der beschränkten Anzahl abgefragter Daten auch an einer besseren Vorbereitung, schon beginnend mit den gut lesbaren und verständlichen Aufforderungsbögen zur Datenübermittlung an die Betroffenen. Ferner fiel positiv auf, dass Problemfälle wie die oben genannten durch den Bürgerbeauftragten im direkten Kontakt mit dem Landesamt für innere Verwaltung unbürokratisch gelöst werden konnten.
Augenmaß bei Pachtpreisen notwendig (Fortsetzung aus 2019)
Bereits mehrfach hatte der Bürgerbeauftragte auf die Problematik der starken Erhöhungen von kommunalen Pachtpreisen und Erbpachtzinsen hingewiesen. Gemäß § 56 Abs. 5 der Kommunalverfassung dürfen Verpachtungen nur „zum vollen Wert“ erfolgen. Als Grundlage der Berechnung wird der Bodenrichtwert herangezogen, der mit einem vom Innenministerium vorgegebenen Zinssatz und der Fläche multipliziert wird. In begehrten Lagen entlang der Ostsee haben sich allerdings die Bodenrichtwerte und damit die angemessenen Entgelte in den letzten Jahren vervielfacht. Der Bürgerbeauftragte hatte gewarnt, dass beim Festhalten an dieser Berechnungsmethode mittelfristig nur noch sehr wohlhabende Menschen solche Grundstücke nutzen könnten.
Beispielhaft hatte der Bürgerbeauftragte in seinem Jahresbericht für das Jahr 2019 von einem Fall berichtet, in dem der Erbpachtzins nach einer Vertragsverlängerung von bisher 500 Euro auf ca. 24.000 Euro jährlich ansteigen sollte. Der Bürgerbeauftragte hatte vorgeschlagen, den vorgegebenen Zinssatz von 4 bis 8 Prozent deutlich zu senken, um so den Anstieg der Pachten zu begrenzen. Eine Lösung konnte für die Petentin damals nicht erreicht werden, weil das Innenministerium nicht bereit war, den Berechnungsmodus zu verändern.
Die Petentin hielt an ihrem Begehren fest und bat schließlich darum, den Vorgang an den Petitionsausschuss des Landtags abzugeben. In diesem Verfahren wurde dann bekannt, dass das Innenministerium inzwischen bei Erbbaurechten den zu verwendenden Zinssatz deutlich verringert hatte, nämlich auf 2 bis 3 Prozent des Bodenwerts bei Wohngrundstücken und 3 bis 4 Prozent bei Gewerbegrundstücken. Die Petentin kann daher davon ausgehen, dass sie bei der anstehenden Verlängerung des Erbbaurechts nun ein noch bezahlbares jährliches Entgelt zu entrichten hat.
Für den Bürgerbeauftragten ist damit eine gewisse Entspannung der Situation erkennbar. Trotzdem sind auch solche Entgelte immer noch geeignet, “Normalverdienern“ eine weitere Nutzung schon bisher genutzter Grundstücke unmöglich zu machen. Es sollte überlegt werden, generell verstärkt Ausnahmen vom Prinzip der Vergabe „zum vollen Wert“ bei kommunalen Grundstücken zuzulassen, wenn soziale Gesichtspunkte dies sinnvoll erscheinen lassen. Vergleichbare Sonderregelungen gibt es bereits in anderen Bundesländern beim sozialen Wohnungsbau. Jedenfalls in den Gebieten mit vervielfachten Bodenrichtwerten ist dies zu empfehlen. Auch der Petitionsausschuss hat bei Abschluss der Petition darauf hingewiesen, dass die steigenden Bodenrichtwerte in begehrten Ortslagen auch Einfluss auf den Ortscharakter hätten. Es muss daher geprüft werden, wie der Entwicklung einer sozialen Ungleichheit in den betroffenen Gebieten durch geeignete Maßnahmen entgegengewirkt werden kann.
Ein Standesamt traut (sich) nicht
Wollen Bürgerinnen und Bürger heiraten, so hat das Standesamt zu überprüfen, ob der Ehe ein Hindernis entgegensteht (§ 13 des Personenstandsgesetzes). Manchmal ist aber nur das Standesamt das Hindernis. In einem solchen Fall wandte sich eine Bürgerin an den Bürgerbeauftragten.
Die Petentin und ihr Lebensgefährte hatten bereits im August 2021 die Eheschließung beim Standesamt einer Kleinstadt angemeldet. Zuvor war die Petentin mit einem Italiener verheiratet gewesen. Diese Ehe war von einem italienischen Gericht geschieden worden.
Das Standesamt hatte Bedenken gegen die neue Eheschließung erhoben, weil unklar sei, ob die erste Ehe der Petentin 2009 oder erst 2012 rechtswirksam geschieden worden sei. Hierzu gebe es unterschiedliche Aussagen in vorgelegten Dokumenten. Dies müsse zunächst durch eine Bescheinigung des Mailänder Gerichts eindeutig nachgewiesen werden. Die Petentin sah dies als überflüssigen und kostenintensiven Aufwand an. Diese Frage beantworte sich schon aus den bisher vorgelegten Dokumenten wie dem Scheidungsurteil. Aus ihrer Erfahrung mit der italienischen Justiz gehe sie davon aus, dass sie eine spezielle Bescheinigung zur Frage der Rechtswirksamkeit gar nicht oder erst nach langer Zeit erhalten werde.
Der von der Petentin angerufene Bürgerbeauftragte hatte sowohl das Standesamt als auch danach die Fachaufsicht beim Landkreis und im Innenministerium darauf hingewiesen, dass ein Ehehindernis bei der Petentin nicht bestehe. Für das Eingehen einer neuen Ehe sei es nämlich unwesentlich, wann genau eine vormalige Ehe rechtswirksam geschieden worden sei, solange – wie im hiesigen Fall – feststehe, dass eine Scheidung jedenfalls erfolgt sei. Es sei also unwichtig, ob die Scheidung 2009 oder 2012 rechtswirksam geworden sei. Die Rechtskraft sei im Jahr 2012, die Rechtswirksamkeit wohl bereits rückwirkend im Jahr 2009 eingetreten.
Zuletzt hatte er ferner darauf hingewiesen, dass der vormalige Ehemann schon 2019 verstorben sei und schon deswegen kein Ehehindernis vorliegen könne. Denn die Ehe sei jedenfalls durch den Tod des Ehemannes aufgelöst.
Weder das Standesamt noch die Fachaufsichten ließen sich aber trotz vielfacher Bemühungen des Bürgerbeauftragten durch diese Argumentation überzeugen. Letztlich lehnte das Standesamt die Eheschließung ab. Hiergegen legte die Petentin auf Anraten des Bürgerbeauftragten Rechtsmittel ein.
Das zuständige Amtsgericht stellte im Oktober 2022 fest, dass bei der Petentin kein Ehehindernis vorliegt und wies das Standesamt an, die Eheschließung vorzunehmen. Das Gericht begründete dies – wie der Bürgerbeauftragte – damit, dass die Ehe der Petentin 2009 geschieden worden sei und dieser Beschluss spätestens seit 2012 rechtskräftig und rechtswirksam ist. Einer weiteren Klärung bedürfe es im Verfahren nicht.
Die Stadt hatte ursprünglich angekündigt, eine gerichtliche Entscheidung zu akzeptieren. Auch nach dem Beschluss des Amtsgerichts wurde sowohl gegenüber dem Bürgerbeauftragten als auch der Petentin zunächst erklärt, dass nunmehr unverzüglich die Eheschließung durchgeführt werden solle. Im Widerspruch dazu legte die Stadt dann aber nach mehrwöchigem Hin und Her gegen die Entscheidung des Amtsgerichts Rechtsmittel ein. Nach erneuter rechtlicher Prüfung lehnte das Amtsgericht zum Ende des Jahres eine Änderung des Beschlusses ab und legte, wie in diesen Fällen vorgeschrieben, den Fall nun dem Oberlandesgericht zur endgültigen Entscheidung vor. Es ist nicht zu erwarten, dass hierbei eine andere Entscheidung getroffen werden wird. Es handelt sich nur um eine weitere Verzögerung.
Der Bürgerbeauftragte hat schon mit Blick auf fortgeschrittene Alter der Petentin und deren Lebensgefährten keinerlei Verständnis für die Vorgehensweise der Stadt. Er hat zudem den Eindruck gewonnen, dass die zuständigen Fachaufsichten offenbar nicht in der Lage sind, den Kern des Problems und die Rechtslage zu erkennen.
Verbotene Eigenmacht: Gemeinde bricht ein Türschloss auf
Nach den Erfahrungen des Bürgerbeauftragten wird das Zivilrecht gerade in kleineren Gemeinden und Verwaltungen oft nicht richtig eingeordnet und umgesetzt. Selbst grundlegende Normen werden übergangen oder nicht beherzigt. Mit einem solchen Fall musste sich der Bürgerbeauftragte im gesamten Berichtsjahr befassen. Hierbei hatte sich der Vorstand eines Vereins bereits zum Jahresende 2021 an ihn gewandt.
Der Verein hatte von einer Gemeinde mit einem langjährigen Nutzungsvertrag ein „Dorfhaus“ zur Nutzung übernommen und für eine Sanierung gesorgt. Er führte dort u.a. kulturelle Veranstaltungen durch und stellte das Haus gegen ein Entgelt auch Bürgern für private und öffentliche Feiern zur Verfügung.
Im Jahr 2021 forderte die Gemeinde vom Verein plötzlich eine Neuverhandlung des Vertrags. Insbesondere sollten die Untervermietungen für Feiern über die Gemeinde erfolgen und die Entgelte hierfür ihr zukommen. Damit war der Verein nicht einverstanden, da er diese Entgelte für den Unterhalt des Gebäudes benötige. Daraufhin kündigte die Gemeinde den Vertrag außerordentlich zum Jahresende 2021. Eine Begründung enthielt diese Kündigung nicht.
Der Bürgerbeauftragte wies die Gemeinde nach rechtlicher Prüfung darauf hin, dass die Kündigung ersichtlich rechtswidrig sei. Nach den Regelungen des Vertrags und auch denen des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) sei eine Kündigung eines langjährigen Vertrages nur bei grober Pflichtverletzung seitens des Vereins möglich. Dies sei aber weder von der Gemeinde dargelegt worden noch feststellbar. Ohnehin sei § 543 Abs. 3 BGB nicht beachtet worden, wonach eine solche Kündigung erst nach einer Abmahnung zulässig sei. Eine Abmahnung sei aber nicht erfolgt und auch nicht begründbar.
Auf Wunsch der Petenten moderierte im April 2022 der Fachreferent des Bürgerbeauftragten eine Beratung des Vereins mit der Gemeinde. Im Gespräch erläuterte die Gemeinde, dass sie wegen finanzieller Schwierigkeiten dringend auf die Entgelte aus den Untervermietungen angewiesen sei. Da der Verein hierzu aber freiwillig nicht bereit gewesen sei, habe die Gemeinde den Nutzungsvertrag kündigen müssen. Dass man Verträge mit einer festen Laufzeit nicht einfach kündigen kann, war der Gemeinde nicht zu vermitteln.
Während dieses Gesprächs gelang es allerdings, Vereinbarungen für einen neuen Nutzungsvertrag zu besprechen. Hiernach sollten die Untervermietungen durch die Gemeinde erfolgen; im Gegenzug sollte dann aber der Verein u.a. an den Erlösen beteiligt werden. Im Vorgriff auf diesen neuen Nutzungsvertrag gestattete der Verein der Gemeinde, zwei Mitte Mai anstehende Untervermietungen selbst durchzuführen. Dabei ging man davon aus, dass bis dahin der neue Vertrag unterzeichnet werden könne.
Im Folgenden konnten sich aber die Gemeinde und der Verein nicht auf die genauen Regelungen für einen neuen Vertrag einigen. Gesprächsangebote des Vereins wurden ignoriert. Die Gemeinde setzte gegen den Willen des Vereins Untervermietungen fort und behielt die Entgelte für sich. Da der Verein hierdurch in finanzielle Schwierigkeiten geriet – die laufenden Kosten des Dorfhauses mussten ja nach wie vor durch ihn beglichen werden – wies er die Gemeinde darauf hin, dass er weitere Untervermietungen durch sie nicht dulden könne. Da die Gemeinde dies aber nicht akzeptierte, sah sich der Verein zur Aufrechterhaltung seines Besitzes gezwungen, die Schlösser zum Dorfhaus auszutauschen.
In dieser Situation ließ die Gemeinde ohne rechtliche Grundlage die Schlösser des Dorfhauses aufbrechen und durch eigene ersetzen. Damit beging die Gemeinde eine zivilrechtliche Eigenmacht, die § 858 BGB ausdrücklich verbietet.
Alle Bemühungen des Bürgerbeauftragten hatten nicht gefruchtet; die Gemeinde hatte binnen eines Dreivierteljahres noch nicht einmal eine wiederholt angeforderte Stellungnahme abgegeben. Da auch eine förmliche Empfehlung des Bürgerbeauftragten keine Wirkung zeigte, mussten die Petenten gerichtlich vorgehen.
Wie nicht anders zu erwarten, verpflichtete das zuständige Gericht die Gemeinde, dem Verein die Schlüssel zum Dorfhaus auszuhändigen und diesem die Nutzung wieder einzuräumen. Außerdem wurde der Gemeinde verboten, sich wieder eigenmächtig Zugang zum Dorfhaus zu verschaffen. Das Gericht begründete das damit, dass die Gemeinde sich nicht einfach ein Selbsthilferecht anmaßen könne, wenn um die Nutzung des Hauses gestritten werde. Bei solchen Streitigkeiten könne der Besitz nur nach einer erfolgreichen Räumungsklage durch die zuständigen staatlichen Stellen entzogen werden. Eine Räumungsklage hatte die Gemeinde jedoch nicht erhoben. Auch die von der Gemeinde behauptete gemeinsame Nutzung und damit ein eigenständiges Recht auf Zugang habe sich nach Zeugenaussagen nicht bestätigt.
Die Hoffnung des Vereins, dass nunmehr die Streitigkeiten beigelegt werden könnten, erfüllte sich jedoch nicht. Im Gegenteil: Kurzerhand sprach die Gemeinde zum Jahresende eine erneute Kündigung aus. Da die hierfür gegebene Begründung aber nicht im Geringsten tragfähig erschien, erteilte der Bürgerbeauftragte eine weitere Empfehlung: Zur Vermeidung weiterer gerichtlicher Streitigkeiten sollte die Gemeinde die Kündigung zurücknehmen und mit dem Verein erneut über den Abschluss eines modifizierten Nutzungsvertrages sprechen. Die Gemeinde ließ sich hierdurch nicht beeindrucken und drohte nun mit dem Einreichen einer Räumungsklage.
Der Fall zeigt, wie durch eigenmächtiges, rechtswidriges Agieren einer Gemeinde nicht nur unnötig Gerichtsverfahren ausgelöst werden, sondern zudem auch noch erhebliche Kosten für die Gemeindekasse entstehen. Der Fall ist noch nicht abgeschlossen; nun ist eine politische Vermittlung beabsichtigt.
Bauvorhaben: Gemeinsam Lösungen finden
Häufig wenden sich Bürger an den Bürgerbeauftragten, die sich von den Bauämtern und Baubehörden nicht verstanden fühlen. Sie erwarten mehr Aufklärungsbereitschaft, mehr Transparenz und guten Willen, um gemeinsam Kompromisse und für alle Seiten tragbare Lösungen zu finden. Dies betrifft sowohl Bauleitplanverfahren als auch Baugenehmigungsverfahren.
- In einem Fall beschwerte sich ein Bürger über Bauleitplanungen in der Gemeinde. Das Dorf wolle wachsen und junge Familien sollten in den Ort kommen. Auf etwa 10.000 m² Ackerland im Außenbereich solle ein Eigenheimgebiet mit 10 Bauplätzen entstehen und dann zum Innenbereich werden. Aus Gründen der Raumordnung müsste hierzu im Austausch der Innenbereich an anderer Stelle verkleinert werden. Dazu war geplant, auf der Rückseite von 20 Wohngrundstücken im Dorf 40.000 m² Land zum – grundsätzlich nicht bebaubaren – Außenbereich zu erklären. Damit waren die betroffenen Grundstückseigentümer natürlich nicht einverstanden.
Zunächst wies der Bürgerbeauftragte auf die Öffentlichkeitsbeteiligung und das Vorbringen von Einwendungen im Rahmen des Bauleitplanverfahrens hin. Da aber nachvollziehbar war, dass die Bürger die beabsichtigten Einschränkungen der Bebaubarkeit mit Sorge sahen, wandte sich der Bürgerbeauftragte auch an die Gemeinde. Er nahm weiter mit dem zuständigen Dezernenten beim Landkreis und dem Amt für Raumordnung Kontakt auf. Beide wollten sich für eine Kompromisslösung einsetzen.
In der Folge fanden eine Veranstaltung der Gemeinde mit Bürgern und eine Sitzung mit dem Amt für Raumordnung statt. Der gefundene Kompromiss bestand darin, dass nur 10 statt der ursprünglichen 20 Grundstücke betroffen sein werden. Einzelheiten sollen mit den Bürgern abgestimmt werden.
- Bei einem Sprechtag berichtete ein Bürger dem Bürgerbeauftragten, dass seine Familie sowie die Familie des Sohnes im Jahr 2018 jeweils eine Doppelhaushälfte in einem städtischen Wohngebiet von einem Investor erworben hätten. Es gab einen Bebauungsplan und eine Baugenehmigung. Im Oktober 2018 seien die Familien eingezogen. Kurze Zeit später habe es eine Ortsbesichtigung durch das Bauamt gegeben und danach seien Nutzungsuntersagungen ausgesprochen worden, weil vom Investor gegen Bestimmungen im B-Plan und in den Baugenehmigungen verstoßen worden sei. So habe z. B. nur eine Fläche von 125 m² überbaut werden dürfen, tatsächlich seien aber 149 m² überbaut worden. Dies betreffe auch weitere drei Doppelhäuser, die der Investor verkauft habe. Die überbaute Grundfläche überschritt zudem das im Bebauungsplan erlaubte Maß.
Das Bauamt hatte dann zunächst empfohlen, einen neuen Bauantrag zu stellen. Die Petenten arbeiteten mit einem neuen Vermesser und einem neuen Architekten die beanstandeten Punkte ab. Nur das Problem mit der zu großen Grundfläche konnte nicht praktisch gelöst werden. Auch einen Antrag auf Abweichung vom Bebauungsplan zur Erhöhung der Grundflächenzahl lehnte die Bauverwaltung ab, weil das gegen die Grundzüge der Bauleitplanung verstoße.
Der Bebauungsplan, der den vorhandenen Ortsteil entwickeln sollte, wies die Ortslage als allgemeines Wohngebiet aus. Für solche Gebiete sieht das Gesetz grundsätzlich eine Grundflächenzahl (GRZ) von 0,4 vor. Dies bedeutet, dass 40 Prozent der Fläche eines Grundstücks bebaut werden dürfen. Laut B-Plan war ohne weitere Begründung hingegen nur eine GRZ von 0,25 zulässig. Die betroffenen Häuser erreichten eine GRZ von 0,29.
Dem Petitionsverfahren kam nun zu Gute, dass das Oberverwaltungsgericht den Bebauungsplan aus anderen Gründen für unwirksam erklärte. Nun kam es darauf an, ob sich das Gebäude gemäß § 34 Baugesetzbuch in die vorhandene Bebauung des nun unbeplanten Innenbereichs einfügte. Nachdem der Petent sich bereits selbst mit der Kommunalvertretung in Verbindung gesetzt hatte, erörterte der Bürgerbeauftragte mit dem Leiter des zuständigen Amtes fachlich Lösungsmöglichkeiten auf der Grundlage der jetzt geltenden Sach- und Rechtslage. Beide waren der Auffassung, dass die Gebäude nicht aus dem Rahmen fielen, sondern sich einfügten. Auch die anderen Fachämter hatten keine Bedenken. Die Baugenehmigungen konnten kurz darauf erteilt werden.
Diese Fälle zeigen, dass es durchaus gemeinsam zwischen Bürgern und Baubehörden möglich ist, die berechtigten Interessen der Betroffenen aufzunehmen, zu berücksichtigen, Kompromisse zu erarbeiten und tragfähige Lösungen zu finden.